Zur Reichsprogromnacht

Veröffentlicht am 09.11.2020 in Allgemein

Sehr geehrte Damen und Herren,
der 9. November ist ein Tag der Erinnerung an eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte. Er ist ein Tag des Innehaltens, der Rückschau und nicht zuletzt der Mahnung, dass solches Unrecht nie wieder geschehen darf!

„Nie wieder!“, sagen wir alle fest und überzeugt. Aber kann man sich diesem in der heutigen Zeit so sicher sein? Wenn wir heute, auf Grund der aktuellen Situation in unseren Herzen und unseren Gedanken zusammenkommen, so darf dieses nicht losgelöst von den aktuellen Zeitumständen geschehen.

Wir sind verpflichtet, die unglaublichen Vorgänge, die sich in den letzten Monaten in Deutschland und Europa abgespielt haben, nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern auch entschieden anzuprangern! Ich spreche von den antisemitischen Ausfällen und Hassparolen, denen sich Juden plötzliche wieder ausgesetzt sehen. Wir alle, die wir heute gedenken, hätte das Wiederaufkeimen einer solchen Gefahr bis vor kurzem kaum für möglich gehalten. Zu schrecklich hat sich in unser kollektives Bewusstsein eingebrannt, was genau hier, in unserem Seesen, sowie in ganz Deutschland geschah. Jüdische Geschäfte und Wohnungen wurden geplündert und zerstört, die Synagogen und Gebetshäuser geschändet und in Brand gesetzt und auch Seesener Bürgerinnen und Bürger wurden bedroht, misshandelt, verhaftet und ermordet.

All diesen schrecklichen Übergriffen waren jüdische Bürgerinnen und Bürger wehrlos und machtlos ausgesetzt. Und auch wenn es Menschen gab, die mit Abscheu und Entsetzen reagierten, so gab es doch zu viele, die einfach wegsahen oder gar mitmachten. Wesehen, lieber nichts sagen, sich wegducken - auch alles Formen des Mitmachens. In der Vergangenheit, im Heute und auch in der Zukunft.

Mich persönlich macht eine solche Haltung fassungslos und ratlos. Denn haben wir nicht alle gedacht, unsere intensive und breite Auseinandersetzung mit der Geschichte in Schule und in der Gesellschaft hätten eine starke Demokratie gegen Hetzkampagnen, Angriffe gegen Mitbürgerinnen und Mitbürger und feigen Attentaten erschaffen? Vielleicht wiegten wir uns zu früh in Sicherheit. Vielleicht ist das geschaffene Fundament doch poröser als wir dachten. Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie uns eines nie vergessen: Die Würde des Menschen ist unantastbar!

Wir dürfen nicht einfach wegschauen, auf das Wissen über diese Gräueltaten und den Geschichtsstunden in der Schule vertrauen. Denn Erinnerung und Wissen sind das Eine. Auch die folgenden Generationen mitzunehmen, das Geschehene immer wieder aufzuarbeiten und gegen das Vergessen anzuarbeiten ist das Andere. Denn bald werden wir nicht mehr auf Zeitzeugen zurückgreifen können um die Erinnerung an den Holocaust wachzuhalten.

Ein jüdisches Sprichwort sagt:
Menschen die man vergisst, sterben ein zweites Mal. Aus diesem Grund ist es wichtig, immer wieder zu mahnen und zu gedenken.

Daher geht mein Dank am heutigen Tage vor allem an die Seesener Schulen, die sich mit zahlreichen Projekten gegen das Vergessen stemmen. An alle, die sich in unserer Demokratie für den Beistand und den Schutz gegenüber jeglicher Art von Volksverhetzung einsetzen. Die stark an der Seite unserer Mitbürgerinnen und Mitbürgern, unsere Nachbarn, Freunde, Kolleginnen und Kollegen, Mitschülerinnen und Mitschülern und Sportkameradinnen und Sportkameraden stehen. Gemeinsam stehen wir alle für ein friedliches und tolerantes Zusammenleben in Seesen und der Welt.

Die SPD-Seesen hat daher am heutigen Tage einen Kranz am Ehrenmal vor dem Jacobsonhaus niedergelegt.

Patrick Kriener
SPD-Ortvereinsvorsitzender